Kürzlich legte mein Chef einen Gegenstand auf meinen Schreibtisch, dessen Anblick mich sogleich in schieres Entzücken versetzte: einen Fächer feinster Qualität aus dem 18. Jahrhundert mit Stäben aus geschnitztem Bein, das Blatt aus Schwanenhaut bemalt mit figurenreichen Darstellungen. Leider befindet sich das schöne Stück in keinem guten Zustand. Zwar ist nichts verloren, und die Bemalung ist recht gut erhalten, aber ein Außenstab ist gebrochen und das Blatt ist an zahlreichen Stellen entzwei gerissen. Doch die Miniaturmalereien auf dem Fächer sind so spannend, dass ich ihn - mit freundlicher Erlaubnis von Stefan von Reibnitz - hier detailliert vorstellen möchte.
Der
27 cm lange Fächer ist aus insgesamt 19 plus 2 Stäben
zusammengesetzt, die im sichtbaren unteren Teil durchbrochen
gearbeitet und größtenteils mit feiner Blumenmalerei und winzigen
goldenen Tupfen überzogen sind. In der Zone unterhalb des
Fächerblattes bilden sie stabübergreifend insgesamt fünf
Kartuschen, von denen die mittlere eine Gartenansicht, die zweite und
vierte Äcker zeigen. In allen drei liegen im Vordergrund Geräte,
die zur Bearbeitung von Garten und Feldern gebraucht werden: Pflüge,
Egge, Spaten, Sense, Rechen, Sieb und div. Gabeln. Dazwischen sind
zwei geschwungene Kartuschen angeordnet, die mit üppigen
Früchtestilleben bemalt sind. Auf den Außenstäben ist je
eine große Weintraube zu sehen.
Die
Schauseite des Blattes ist ohne Rahmung vollständig mit einer
figurenreichen Maskenballszene bemalt. Die bühnenartige Kulisse
bildet ein großer Redoutensaal, dessen Wände durch Marmorsäulen
und Muschelnischen gegliedert sind. In der Mitte öffnet er sich und
gibt den Blick auf eine Säulenhalle im Hintergrund frei. Zu beiden
Seiten des Durchgangs sind Orchesteremporen angebracht, hinter deren
Balustraden jeweils auf drei Ebenen eine Schar Musiker in rotblauen
Livrees und federgeschmückten Hüten bei ihrem Spiel dargestellt
sind.
Die
Personenstaffage ordnet sich in der Hauptsache zu beiden Seiten des
Durchgangs in perspektivischer Staffelung an. Wir sehen maskierte und
kostümierte Gestalten zu Gruppen in Gespräch beieinander stehend
und tanzende, z. T. in ihren Kostümen aufeinander abgestimmte Paare.
Trotz des kleinen Maßstabes wirken manche Gesichter wegen ihrer
individuellen Züge fast porträthaft, wie beispielsweise das des
beleibten Herrn im schwarzen Talar, weißem Kragen und Barett rechts
im Hintergrund, der sich Schnurr- und Ziegenbärtchen aufgeklebt hat.
Betrachten
wir die Gruppe im rechten Teil des Fächerbildes eingehender, fallen
uns einige Damen in trachtenartigen Kostümen und Hauben auf. Die
Dame links neben dem gerade beschriebenen Herrn trägt einen
rosafarbenen Rock mit weißer Schürze, ein gelbes Schnürmieder,
darunter ein weißes Hemd mit weiten, von blauen Bändern gehaltenen
Ärmeln und eine mit Goldborte eingefassten Haube, die über der
Stirn in einer Schneppe ausläuft. Bei dieser Kopfbedeckung handelt
es sich um eine sogenannte Augsburger Judenhaube, die ich schon in
meinem letzten Post vorgestellt
habe. Aber es sind noch andere Hauben aus dem schwäbischen
Raum zu erkennen, wie wir sie an der bürgerlichen Tracht in
Augsburg und Ulm finden. Mehrfach ist das sog. Hirnkäppein zu
sehen, eine Haube aus schwarzem Samt, die an Stirn und Schläfen in
drei Spitzen ausläuft, aber auch die hohe dreieckige Haube aus
gestärktem Leinen - Schleier genannt -, die zusammen mit einer große
Halskrause zur ständischen Tracht Ulms und Augsburgs getragen wurde.
Auf Trachtenbildern
der Augsburger Kupferstecher Jeremias Wolff und Helena
Rohbausch
und in anderen Druckwerken des 18. Jhs. Augsburger Provenienz, die
auch Einfluss auf das Balthasar Cornelius Koch zugeschriebene
Augsburger Klebealbum ausgeübt haben, finden wir solchermaßen
gekleidete Frauen verschiedenen Standes wieder.
Martin Engelbrecht |
Auf
der linken Fächerseite haben sich neben dem Bauernpaar im
Vordergrund einige Figuren der Commedia Dell Arte versammelt. Ganz
links scheint Arlecchino einen der in weiße Uniformen gekleideten
Wächter zu necken in einer für ihn typischen, auf zahlreichen
Abbildungen des 18. Jhs. zu findenden Pose.
Weiter
im Hintergrund sitzt Mezzettino im Gespäch mit einer maskierten
Dame, zu erkennen an dem rotweißgestreiften Anzug.
Zur
Mitte hin fordert der weißgekleidete Pedrolino eine weiße Dame zum
Tanze auf. Daneben sehen wir venezianisch anmutende, in weite
Pelerinenmäntel gehüllte Herren mit Dreispitz und Maske und Damen
in weiten Kleidern mit eng am Kopf anliegenden Puderfrisuren, dem
sog. Tete de mounton, wie er ab den 30er Jahren bis zur Mitte
des 18. Jhs. bei den Damen populär war. Dazu tragen sie schwarze,
die Mundpartie freilassende Halbmasken .
Rechts
im Vordergrund sehen wir zwei seltsam gekleidete Herren im Gespräch.
Der linke trägt einen weißen, schwarz getupften Pelerinenmantel mit
Kapuze und einen Dreispitz der rechte einen schwarzen Justaucorps mit
breiten Ärmelaufschlägen, auf den mit weißen Buchstaben das
Alphabet aufgemalt ist. Der weiße Kragen weist ihn als
Gelehrten aus.
Er
verneigt sich vor dem Herren im Mantel und weist mit seiner Rechten
auf ein um seinen Hals hängendes Schild mit der Abbildung eines
Esels. In der anderen Hand hält er einen Gegenstand, der aussieht
wie ein Kochlöffel. Möglicherweise stellt er die Spottfigur eines
Schulmeisters dar.
Neben
den vorgestellten Kostümgruppen gibt es noch eine, die thematisch
eine Brücke zu den auf die Landwirtschaft hinweisenden Dekorationen
auf den Fächerstäben schlägt. Es sind die in bäuerliche Gewänder
gekleideten Personen, wie das Paar links im Vordergrund oder die vier
weiß gekleideten Männer und Frauen ganz rechts. Das ländliche
Leben repräsentiert auch das tanzende Jägerpaar in eleganten
Jagdhabits in der Mitte des Ballsaales.
Die
Rückseite des Fächers ist schlichter gestaltet. Die Stäbe
sind undekoriert, das Blatt zeigt eine Bankettszene in einem leeren
Raum, die aber nicht minder reizend ist.
Um
den reich gedeckten Tisch haben sich acht Personen versammelt. Unter
ihnen finden wir einige Bekannte aus der Ballszene der Vorderseite
wieder: der junge Mann im roten Renaissanceanzug, der Herr mit dem
spitzen Hut, eine Dame mit Hirnkäpplein, die Dame im Jagdkleid (man beachte ihre Kappe!) und der Herr mit dem
getupften weißen Mantel.
Fröhlich
plaudernd, trinkend und schmausend sitzen sie beieinander, bedient
von zwei Lakaien, die die gleichen kostümartigen Livrees tragen wie
die Musiker. Von links trägt einer einen gebratenen Vogel herein,
der andere auf der rechten Seite gießt eine Getränk aus einer Kanne
in eins der Gläser auf seinem Tablett.
Martin
Eberle schreibt im Band I des Katalogs der Fächersammlung Ute
Michaels, "Ein Hauch von Luft und Liebe" (Heidelberg 2014,
S. 8), dass die wenigsten Fächer des 18. Jhs. eine eindeutige
Lokalisierung oder Datierung erlauben. Bei dem vorgestellten Exemplar
verhält es sich offensichtlich ganz anders. Die bühnenartige
Darstellung des Innenraums erinnert an die seinerzeit
populären Kulissen für
Papiertheater des Augsburger Verlegers und Kupferstechers Martin
Engelbrecht (1684-1756). Die malerische Ausschmückung des
Fächers zeigt eine Verwandtschaft mit Druckerzeugnissen
Augsburger Provenienz wie die oben angeführten Trachtenbilder oder
die ebenfalls dort entstandenen Klebealben und lassen den
künstlerischen Umkreis Augsburgs spüren. Nimmt man die
Tatsache dazu, dass Augsburg im 18. Jh. eine wohlhabende Stadt und
bedeutende Produktionsstätte von Luxuswaren war, kann man die
Entstehung des Fächers durchaus in Augsburg annehmen.
Modische
Details wie die Frisuren der Damen und oder die große
Ärmelaufschläge am Herrenanzug deuten auf eine Entstehungszeit um
die Mitte des 18. Jhs. hin.
Die
Möglichkeit ihn aufgrund seiner stilistischen Merkmale und
insbesondere der dargestellten Trachten zu lokalisieren aber auch
seine überaus heiter anmutigen und sehr originellen
Miniaturmalereien macht den Fächer, dem es zu wünschen ist
eines Tages wieder in einen besseren Zustand versetzt zu werden, zu
einem einzigartigen, kulturgeschichtlich bedeutsamen Exemplar.
Nachtrag: Inzwischen ist das schöne Stück längst in die besten Hände geraten. Der Besitzer hat ihn fachgerecht restauriert und mir versichert, dass er unendliche Freude daran hat - was ich hundertprozentig nachvollziehen kann! Mit seiner Erlaubnis präsentiere ich hier seine Fotos von dem wiedererstandenen Fächer:
Sincerest
apologies for only writing a small resume this time.
The
original Text is so detailed and elaborate that i don't really feel
up to the challenge of translating it all propperly. If you have
questions please feel free to ask.
The
fan leaf is made of animal skin, the frame is made of bone, with
detailed paintings of gardening and farm scenes. More rural than the
fan leaf which depicts a masquerade showing not only costumes of the
commedia dell'arte but also traditional south german dresses. (mainly
with the women)
The
figures are painted in such detail that one comes to think some of
them might be portraits.
Also
the hall in which the ball takes part is painted so three dimensional
and detailed that one is reminded of the typical augsburgian paper
theatres and Balthasar
Cornelius Kochs paste album.
The
back of the fan leaf is also painted, showing a feast where we find
some of the figures from the front again.
Martin
Eberle writes in his 1st
volume
of the Fancollection of Ute Michaels „Ein Hauch von Luft und Liebe“
(heidelberg 2014 S.8) that most fans of the 18th century are
difficult to date and find a location of origin. With this exemplar
it appears to be different since the depicted dresses and the style
of painting show a clear relation the the Augsburg area.
If
you take into context that Agusburg was a rich city and known for the
production of luxurious articles it wouldn't be too far fetched to
think the fan was manufactured in this area.
Details
in Fashion like the womens hairstyles help date it in the middle of
the 18th century.
Addendum: In the meantime, the beautiful piece has fallen into the best of hands. The owner has restored it professionally and assured me that he takes infinite pleasure in it - which I can understand one hundred percent! With his permission, I present here his photos of the resurrected fan
Beitrag: Dr. Hildegund Bemmann